Utopie statt düstere Zukunft: Hacker entwerfen Gegenmodelle

By on 27. Dezember 2017

Leipzig – Wie kann man Technologien nutzen, um eine bessere Welt zu schaffen? Was wissen die sozialen Netzwerke über mich? Am Ende eines Jahres kommen Tausende Hacker und andere Technikliebhaber auf Einladung des Chaos Computer Clubs (CCC) zusammen, um über solche Fragen zu debattieren.

«Wir wollen nicht untätig daneben stehen, während die Digitalisierung im rasanten Tempo voranschreitet», erklärt CCC-Sprecher Linus Neumann. Passend dazu lautet das diesjährige Motto «Tuwat», mit dem die Organisatoren an den
Gründungsaufruf des Clubs von 1981 erinnern.

Nachdem das Spektakel in den vergangenen fünf Jahren im Hamburger Congress Center stattfand, haben die Hacker nun in Leipzig eine neue Heimat gefunden. Das Gebäude in der Hansestadt wird saniert, zudem war der Kongress an die Kapazitätsgrenze gestoßen. Denn auch in diesem Jahr ist die
viertägige Veranstaltung (27. bis 30. Dezember) wieder gewachsen, um die 15 000 Teilnehmer strömen auf das Leipziger Messegelände. Viele tragen Kapuzenpulli. Das Getränk der Wahl ist Mate-Limo – noch so ein erfülltes Klischee. Trotz aller Bekenntnisse für mehr Vielfalt sind noch immer deutlich mehr Männer als Frauen zu sehen. Die Geschlechterverteilung wird aus Datenschutzgründen nicht erfasst.

Wer die düster-kuschelige Atmosphäre der Kongressräume in Hamburg lieb gewonnen hat, fühlt sich in den weitläufigen und lichtdurchfluteten Messehallen in Leipzig erst etwas verloren. Einige der Teilnehmer haben Skateboards oder Roller dabei, um schnell zum nächsten Vortrag durch die Hallen zu flitzen.

Aber Stillstand passt nicht zu der Szene, die stets nach Herausforderungen sucht. «Wir finden, es ist der ideale Ort in der heutigen Zeit», sagt der Hacker und Medienkünstler Tim Pritlove zum Auftakt. Mit Blick auf die Montagsdemonstrationen vor dem Mauerfall 1989 erklärt er: Leipzig sei schon einmal Ort einer Revolution gegen ein System gewesen, das aus der Zeit gefallen war – und «in gewisser Hinsicht herrscht heute ja auch wieder gehobener Revolutionsbedarf».

Mit Blick auf den Rechtsruck sagt Pritlove, es sei wichtig, gerade in Sachsen präsent zu sein: «Die Täler müssen mit Ahnung geflutet werden.» Als «Tal der Ahnungslosen» wurde einst das Elbtal bei Dresden genannt, da es sich außerhalb der Reichweite westlicher Fernsehsender befand.

Sich um die Verbreitung von Wissen zu kümmern, ist seit jeher das Anliegen des 1981 gegründeten CCC, der vor kritischen Auswirkungen der Digitalisierung ebenso warnt wie vor einer mangelhaften Umsetzung von Technik. Das ist etwa bei der Abrechnung von Stromtankstellen für Elektroautos der Fall, wie Mathias Dalheimer vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM) in Kaiserslautern eindrucksvoll analysiert. Er hat sich angeschaut, was auf den Chips der Ladekarten gespeichert ist. Es ist lediglich eine unverschlüsselte Nummer. «Sehr schlecht», rügt er.

Ziemlich intelligent hingegen ist das, was soziale Medien mit den Daten ihrer Nutzer machen. Auf dem Kongress zeichnet der schottische Science-Fiction-Autor Charles Stross das düstere Szenario einer Zukunft, die von den Algorithmen, also Software-Schritten, von Facebook und Co beherrscht wird. Solche «Systeme der künstlichen Intelligenz erschweren soziale Veränderungen», kritisiert der Schriftsteller. Weil den Nutzern nur das vorgesetzt werde, was sie ohnehin bevorzugten. So werde ihnen auch nur das serviert, was ihre politische Meinung bestätige. Mit der Weiterentwicklung der Gesichtserkennung, wie sie von Apple betrieben wird, könnten Smartphones auch Stimmungen ihrer Nutzer einschätzen und darauf reagieren.

Ist das nicht zu schwarz gemalt, dass Technik die menschliche Selbstbestimmung aushebelt? So fragt ein Teilnehmer. «Eine düstere, trostlose Zukunft ist nicht unvermeidlich», antwortet Stross. Aber die Aktivisten der Hackerszene müssten sich auf solche Szenarien vorbereiten und etwas dagegen tun.

Das ist denn auch die Botschaft, die von Leipzig ausgehen soll. «Der Kongress ist Utopie», sagt Pritlove. «Es ist wichtig, dass wir auch weiterhin unserer Zeit 30 Jahre voraus sind.» Bezogen auf das Motto «Tuwat» ruft er die Teilnehmer auf, die vier Tage in Leipzig als «temporäre autonome Zone» zu nutzen und neue Handlungsoptionen für die digitale Gesellschaft zu entwickeln. 

Unter der Glaskuppel in Leipzig ist wieder die Rakete «Fairydust» (Feenstaub) aufgestellt, das kindlich verspielte CCC-Maskottchen. «Die Rakete steigt heute wieder aufs Neue», verspricht Pritlove, «und wir fliegen mit».

Fotocredits: Sebastian Kahnert
(dpa)

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